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Frankfurter Allgemeine Zeitung
Europäische Union ein Imperium wie das Zarenreich

Historiker untersuchen Kollaps von Machtgebilden / Vorträge des Forschungskollegs Humanwissenschaften

BAD HOMBURG. Die Wissenschaftler am Forschungskolleg Humanwissenschaften in Bad Homburg wenden sich der Frage zu, warum Imperien zusammenbrechen. Die Geschichtswissenschaftler, die sich im »Historischen Kolleg« zusammengeschlossen haben, erforschen als Jahresthema die Bedingungen, unter denen machtvolle Herrschaftsgebilde in sich zusammenfallen, wie Andreas Fahrmeir sagte, der wissenschaftliche Koordinator des historischen Kollegs und Professor an der Frankfurter Universität. Inspiriert sei die Themenwahl auch vom 100. Jahrestag des Zusammenbruchs des russischen Zarenreichs im Jahr 1917. In den Blick nehmen werde man dennoch verschiedene Großreiche in einer »epochenübergreifenden« Sichtweise, um vergleichen zu können. Die Ergebnissen werden in einer Reihe öffentlicher Vorträge dargestellt.

Mit dem Begriff Imperium beschreiben die Forscher dabei allerdings nicht nur Kaiserreiche wie das Zarenreich oder das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, sondern auch die Europäische Union. Das erläuterten Christoph Duve und Christoph Cornelißen, die beiden Programmverantwortlichen des Themenjahrs.

Denn gemeint sei eine »großräumige Struktur«, eine politische Einheit, die verschiedene Sprachgruppen oder eine Bevölkerung mit unterschiedlichen Kulturen oder Religionen umfasse und integriere. Das treffe auf die Europäische Union ebenso zu wie etwa auf das Habsburgerreich. Organisationen wie die EU stünden den Nationalstaaten gegenüber, die sich dem Staatenbund anschlössen und an ihn Souveränitätsrechte abgäben.

Nach diesem Verständnis kämen Imperien nicht nur durch Eroberung, also durch das Zusammentreffen von Besatzern und Unterworfenen, zustande, sondern durch einen Interessenausgleich, der in Verhandlungen festgelegt werde, sagte Cornelißen. Doch auch bei einer Eroberung wie etwa der Südamerikas durch die Spanier und Portugiesen spielten Aushandlungsprozesse eine wichtige Rolle, sagte Duve. Denn die Eroberer hätten sich etwa mit einem Stamm der Urbevölkerung verbündet, um gegen einen anderen Stamm zu kämpfen.

In der Geschichtsschreibung stehe oft nicht die Expansionsphase im Vordergrund, sondern die Friedensordnung, wenn das Reich seinen Höhepunkt erlebe, sagte Fahrmeir. Als Beispiel nannte er die Pax Romana oder den Frieden, den die Briten in ihren Kolonien durchsetzten. Wenn eine solche Friedensordnung zusammenbreche, bildeten sich in vielen Fällen Nationalstaaten. Dann werde die Bevölkerung eines Reichs auseinanderdividiert, damit jeweils eine Gruppe mit der gleichen Sprache, Kultur und Religion einen eigenen Staat bilden könne. Als Beispiel dafür nannte Cornelißen das Ende des Osmanischen Reichs im Jahr 1917. Die Folgen der Staatenbildung auf dem Boden dieses untergegangenen Imperiums, auch unter Einfluss europäischer Mächte, wirkten nach bis in die Gegenwart mit ihren Konflikten.

Häufig würden Imperien negativ bewertet und als Apparate der Unterdrückung beschrieben, sagte Cornelißen. Erst in der Forschung der jüngsten Zeit werde wahrgenommen, dass die einzelnen Gruppen innerhalb eines Reichs kulturelle oder politische Autonomie genössen. Thema der Veranstaltungsreihe werde auch sein, dass das Ende eines Imperiums nicht endgültig sein müsse. So sei das einst mächtige Großreich China hinter die europäischen Staaten zurückgefallen und erlebe nun ein erneutes Erstarken.

Zum einem Vortrag über das Ende des russischen Reiches wird für Donnerstag, 16. Februar, 19 Uhr, in das Forschungskolleg, Am Wingertsberg 4, eingeladen. Einige Abende der Reihe werden im Bad Homburger Schloss ausgerichtet. Dort spricht der Freiburger Historiker Jörn Leonhard am Donnerstag, 18. Mai, 19 Uhr, über "Imperien auf Abruf? Zur Lage der Imperien in Europa im Kriegsjahr 1917". Das Forschungskolleg Humanwissenschaften wird von der Frankfurter Universität gemeinsam mit der Bad Homburger Werner-Reimers-Stiftung getragen. (JAN SCHIEFENHÖVEL [Frankfurter Allgemeine Zeitung, Rhein-Main, vom 2. Februar 2017, S. 40])

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