Das Forschungskolleg Humanwissenschaften: Veranstaltungen

Donnerstag, 13.11.2014, 19:30 Uhr
Vortragsraum im Forschungskolleg Humanwissenschaften

Historisches Kolleg im Forschungskolleg Humanwissenschaften
Öffentlicher Abendvortrag mit Verleihung der Medaille der Goethe-Universität an Wolfgang R. Assmann

Johannes Fried (Goethe-Universität)
»Die Aktualität Karls des Großen. Von Verlangen nach Wissen zu Heavy Metal«

Johannes Fried ist Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Goethe-Universität Frankfurt. In seiner Forschung beschäftigt er sich unter anderem mit der Ideen- und Geistesgeschichte des Mittelalters, der mittelalterlichen Bildungs- und Wissenschaftsgeschichte, der Methodologie und Theorie der Geschichtswissenschaft sowie mit Karl dem Großen.

Einführung
Matthias Lutz-Bachmann ist Professor für Philosophie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, Vize-Präsident der Universität und Direktor des Forschungskolleg Humanwissenschaften der Goethe-Universität in Bad Homburg.

Zum Vortrag
Eingangs werden zwei Beispiele für den gegenwärtigen Umgang mit Karl dem Großen vorgestellt: die Karlsfiguren des Nürnberger Kunstprofessors Otmar Hörl und die Schokoladenfabrik in Herstal (Belgien). Doch Europa heute kennt nur Benedikt von Nursia als Heiligen, sonst lediglich den Euro. Derselbe weist klein Kurrentgeld mit Karl dem Großen auf, lediglich zwei 10 € Sonderprägungen. Doch um das Jahr 800 hätte kein Angelsachse oder Wikinger Karl als Vater Europas tituliert. Die panegyrische Wendung des anonymen Dichters, der eine Formulierung Cathwulfs und – auf Ludwig den Frommen bezogen – des Ermoldus Nigellus zur Seite tritt, besaß keinerlei politische Bedeutung. Erst durch Hitler sah sich Karl der Große in politischem Sinn mit Europa in Verbindung gebracht; und erst nach 1945 wurde die anonyme Formel vom Karlshof wiederbelebt. Von Karl »dem Sachsenschlächter« wollte Hitler nichts wissen. Den »Sachsenhain« ließ A. Rosenberg dennoch errichten. Hitler indessen wollte »das Reich Karls des Großen« wieder errichten und zwar »gemeinsam mit allen Völkern Europas«. Ein berühmter Teller aus Sèvres-Porzellan propagierte diese Intention (1943).

Ganz anders zur gleichen Zeit in Frankreich: Eine Art Comic-Heft wurde der »prodigieuse histoire de Charlemagne« gewidmet. Sie erhebt den Frankenkönig – gleich wie Jacques Cartier, du Guesclin und den Korsaren Surcouf zu einer der Rettergestalten Frankreichs. Karls Heimat war Frankreich mit »Lutèce« im Zentrum. Die Barbaren rechts des Rheins hat er sich unterworfen. Das Heft wird als eine frühe Ikone der Résistance gewürdigt. – Im heutigen Frankreich spielt der »Vater Europas« Karl kaum eine Rolle. Die französische Wikipédia würdigt vor allem die »Pères de l’Europe«, nämlich Adenauer, Monnet, Schuman, Spaak und andere. LeGoff dezidiert: »Es ist nicht wahr, daß Karl der Vater Europas war«.

Gleichwohl propagieren in Deutschland zahlreiche Medien das Gegenteil. Facebook-Einträge geben ein erschreckendes Unwissen zu erkennen. Hier dürfte die Erzählung von Hermann Löns »Die rote Beeke« (ein Nebenfluss der Aller) mit ihrem bösen Wort vom »aisken Schächter« (dem brutalen Schlächter) die Quelle aller Diffamierung seitens der Nazi und ihrer heutigen Folger sein. Auch in Italien erscheint nicht selten Karl als Vaterfigur oder das unter ihm geeinte Europa als »prototipo dell’Europa«.

Karls wirkliche Bedeutung besteht darin, ihn als einen Wegbereiter der Globalisierung von heute zu erkennen. Nicht bloß seine Mittelmeerpolitik weist in diese Richtung. Wichtiger sind seine Bemühungen um den rationalen Denkstil von heute; um die weltweit verbreitete Schrift; um den Kalender, an dem sich die moderne »Common Era« orientiert; die Münzreform, der Fernhandel gerade auch mit muslimischen Mächten; die Berufung der Fremden an seinen Hof, um den Franken Nachhilfeunterricht zu erteilen; das »Fragen nach der ›nackten‹ Wahrheit«. Diese globalisierenden Züge spiegeln sich in der Karlslegende hohen Mittelalters. Bedeutsam wurde auch der Name Karl. Er fand erst nach dem »Reditus regni ad stirpem Caroli« Eingang in die französische Königsfamilie und dann auch Verbreitung unter europäischen Adelgeschlechtern und als Taufname. Mit der Zeit beriefen sich auch andere politische Verbände wie etwa Florenz auf Karl. Endlich gelangte er in sizilianische Marionettentheater, fand mit einem Reiterbild Aufnahme bei St. Peter in Rom oder im Kreuzgang der Stifter von Montecassino.

Der Blick auf die unmittelbare Gegenwart enthüllt ein eigentümliches Phänomen: Da wurde seit der Stiftung des Karlspreises in Aachen und seit der Gründung der Europäischen Union Karls Name (Charlemagne, Carlo Magno) zum Werbeträger und Verkaufslabel für Hotels und Produkte. Rechtzeitig zur großen Karlsausstellung in Aachen 1965 sang France Gall ihren Baby-Pop-Song »Sacré Charlemagne«. In den USA erschienen Comic-Hefte unter dem Karlsnamen. Ein berühmter Burgunder Wein schmückt sich mit seinem Namen. Die Aachener Metzger kreierten eine »Karlswurst«. Popmusik bediente sich der Karlsikone. »Kid Charlemagne« von 1976 feierte den LSD-Konsumenten. Seriöser Sir Christopher Lee mit seinen beiden Heavy-Metal-Alben »Charlemagne, By the Sword and the Cross« (2010) und »Charlemagne. The Omens of Death« (2013). Karl ist der einzige Große der Weltgeschichte, dem eine solche Popularisierung widerfuhr.

Abschließend wird nach einer historischen Interpretation dieser Karlsbilder gefragt. Dieselben führen zu einer eigentümlichen Wahrnehmung von Zeit, wie sich nämlich mit den Jahrhunderten die Frage nach Karl dem Großen änderte und immer andere Karlsbilder ins kulturelle Gedächtnis einschrieben. Vor allem aber zeigt sich historische Größe weniger in den Leistungen als Eroberer, als vielmehr in der Bedeutung als Kulturerneuerer und Kulturstifter. Diese Leistungen sind dauerhaft, während die Eroberungen sich bald verflüchtigten. Doch zugleich offenbaren Karls diesbezügliche Erfolge einen weiteren Wandlungsstrang, nämlich den Wandel der Werte. Am Beispiel von »Frieden und Gerechtigkeit« (vgl. Psalm, 85 [84]), einer der zentralen Zielsetzungen Karls als Herrscher, wird deutlich, dass Gerechtigkeit eine höchst dynamische Geschichte besitzt und keineswegs einen starren, klar definierten Wert darstellt. Zudem führte die durch Karl erneuerte Rationalität im Laufe der Jahrhunderte zu Fragen, die Christopher Lees zweites Album abschließend intoniert: »But if there is no God, no afterlife, only dust and darkness?«

Verleihung der Medaille der Goethe-Universität an Wolfgang R. Assmann
Nach dem Vortrag wird der Präsident der Goethe-Universität, Herr Prof. Dr. Werner Müller-Esterl, die Medaille der Goethe-Universität an Herrn Wolfgang R. Assmann als ehemaligen Vorstand der Werner Reimers Stiftung, Bad Homburg, für seine Verdienste für die Universität und das Forschungskolleg Humanwissenschaften verleihen.

Im Anschluss findet ein Umtrunk im Kolleggebäude statt.

Um Anmeldung wird gebeten: info@forschungskolleg-humanwissenschaften.de; Tel: 06172-139770.

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